Sicherheitshinweise für das Rudern auf der Unterweser

Sicherheitshinweise für das Rudern auf der Unterweser


Dieser Beitrag steht intern zur Diskussion und gilt als "unter Vorbehalt freigegeben".


Unser Ruderrevier ist großartig. Und es birgt bestimmte Risiken, die man selbst mit viel Rudererfahrung im Binnenland nicht ohne weiteres erkennen kann. Nachdem wir diese Risiken kennen und einschätzen können, möchten wir allen unseren Gästen aber auch allen anderen Ruderinnen und Ruderern in unserem Revier erklären, worauf es zu achten gilt.

Es sind im Wesentlichen zwei Aspekte, die unser Revier grundlegend von vielen anderen Ruderrevieren unterscheiden: 1)

  1. Unser Ruderrevier ist ein Tidengewässer - es hat ständig wechselnde Wasserstände und Strömungen. Das kennen manche Vereine in den Nebenflüssen von Ems, Weser, Elbe und Eider auch. Aber die meisten Vereine in diesen Gegenden liegen dann doch im Binnenland hinter der ersten Schleuse. Aus gutem Grund.
  2. Unser Ruderrevier ist seeehr groß: 1 km breit, 50 km stromauf, ohne Begrenzung stromab. Der Bodensee ist auch seeehr groß und er soll schwer vorhersagbare Winde haben, die das Rudern dort sehr rasch kritisch werden lassen können. Unser Wind ist dagegen eher zuverlässig - in Kombination mit den Tideneffekten kann genau das zu eigenen Problemen führen.

 1. Die Unterweser ist ein Tidengewässer.

Der Wechsel von Ebbe und Flut folgt einer ungefähren Sinusschwingung, das heißt:

  • Etwa alle zwölf Stunden läuft eine Hochwasserwelle von der Nordsee kommend die Weser hinauf bis nach Bremen (abzweigend bis Oldenburg). Von Bremerhaven aus braucht die Welle etwa zwei Stunden bis Bremen. Das bedeutet, dass man auf der Fahrt nach Bremen etwa acht Stunden zur Verfügung hat, um mit der Flut zu fahren - stromabwärts mit der Ebbe kommt einem schon nach vier Stunden die nächste Hochwasserwelle entgegen.
  • An den Kenterpunkten, also an den jeweiligen Standorten von Hochwasser und Niedrigwasser, kommt die Strömung zum Stillstand.
  • Nach dem Kentern nimmt die Strömung in umgekehrter Richtung wieder an Geschwindigkeit zu.
  • Bei halber Ebbe und bei halber Flut ist die Strömung am stärksten.

Die unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten bei unterschiedlichen Wasserständen bedeuten aber auch:

  • Jeder Ort auf dem Wasser hat zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Tide unterschiedliche Eigenschaften.

Ein schönes Beispiel dafür sind die Buhnen, die bei uns Schlengen heißen. Bei tiefem Wasserstand bilden sich an ihren Köpfen starke Strudel, die ein Ruderboot leicht herumreißen können. Das ist nicht dramatisch, denn mit "Ruder-Halt, Blätter-Ab!" lässt man sich aus dem Bereich heraustreiben, richtet das Boot neu aus und umfährt die Stelle - es ist ja genug Platz da. Die selbe Stelle ist ein paar Stunden später bei einem hohen Wasserstand völlig ruhig, weil der Buhnenkopf dann in zwei bis drei Metern Tiefe liegt und das Oberflächenwasser nicht beeinflusst.

Die täglich mehrmals wechselnden Strömungsrichtungen bedeuten ferner:

  • Ein ruhiges Wasser, bei dem Wasser- und Windströmung parallel laufen, kann rasch sehr kabbelig werden, wenn die Tide kentert und Wind und Wasser danach einander gegenüberstehen.

2. Die Unterweser ist groß

Bei uns am Bootshaus ist die Weser so breit wie manches Ruderrevier nicht lang ist (siehe WSV Ennepetal). Und sie ist länger, als das Auge der Steuerleute sehen kann, denn aus der niedrigen Sitzhöhe betrachtet liegt der Horizont bereits in etwa einem bis eineinhalb Kilometern Entfernung. Auf großen Seen gibt es das auch aber:

  • Aus der Kombination aus großem Gewässer und starker Strömung resultiert eine neue Herausforderung:

Bei großer Entfernung zum Ufer ist schwer, Stärke und Richtung der Strömung zu bestimmen. Dieses fällt immer dann auf, wenn man "da draußen" meint, man komme überhaupt nicht vorwärts aber dann mit einem Mal eine Tonne vorbeischießt. Erst dann bemerkt man die manchmal überraschend hohe Geschwindigkeit über Grund. Es addieren sich die Bootsgeschwindigkeit und die Strömungsgeschwindigkeit aber die Entfernung zum Ufer lässt das Boot sehr langsam erscheinen.

Bei großer Entfernung zum Uferist es auch schwer, den Verlauf der Strömung im Verhältnis zum Ufer zu bestimmen. Und die verläuft nicht immer parallel zum Ufer! So kann es sein, dass ein Boot ein Hindernis (z. B. eine Tonne) an der Steuerbordseite liegen lassen will, um an Backbord daran vorbei zu fahren und der Bug des Bootes weist richtigerweise nach Backbord. Wenn aber dann die Weserströmung das Boot an der Steuerbordseite an dem Hindernis vorbei treibten will, kann es passieren, dass sich die beiden Geschwindigkeiten der Weser und des Bootes gewissermaßen gegeneinander aufheben und das Boot auf das Hindernis getrieben wird. Wir haben es erlebt: es ist um Haaresbreite gut gegangen.

Für die Teilnehmer:innen an unserer Regatta um die Strohauser Plate

Die oben benannten Erklärungen helfen nur, wenn es klare Handlundsanweisungen gibt. Für die Regatta um die Strohauser Plate gilt es dieses zu beachten:

  1. Bei jedem Wetter sind die Boote wellentauglich auszurüsten, also mit Schöpfgefäßen zum Lenzen, denn man weiß nie.
  2. Bei starkem Wind und hohen Wellen sind Luftkasten-Abdeckungen erforderlich und Rettungswesten sehr empfehlenswert.
  3. Es gilt, die optimale Linie zu finden, die zwischen starker Strömung und hohen Wellen liegt: je weiter man in Richtung Fahrwasser kommt, desto größer wird die Strömung aber auch die Gefahr hoher Wellen.
    Ausnahme:
    Bei Ostwind bauen sich die Wellen erst ab der Mitte der Weser auf und erreichen ihre größte Höhe direkt bei uns am Westufer, also dort, wo die Regatta läuft.  Bei der Wetterlage muss die Regattaleitung darüber entscheiden, ob das Rennen stattfinden kann.
  4. Passierende Schiffe machen zusätzliche Wellen. In ausreichender Entfernung zum Ufer kann man die Wellen sehr schön abreiten, indem man das Boot parallel legt und für zwei, drei Wellenberge Ruder-Halt gibt. Schlepperwellen sind mit einem Meter die größen und machen echt Laune: wer im Wellental sitzt, kann über die Wellenberge nicht hinausschauen. In Ufernähe überschlagen sich die Schiffswellen - wer das für sein Boot zu spät erkennt, muss die Wellen frontal nehmen, also in sie hinein steuern. Dann wird zwar die Mannschaft patschnass aber das Boot bleibt sicher. Anschließend wird gelenzt und nach dem Ende der Fahrt gibt der Steuermann / die Steuerfrau eine Runde.
  5. Kreuzwellen von Schiffen gibt es nur sehr selten, nämlich dann, wenn sich Schiffe begegnen und sich dann die Bugwellen kreuzen. Der Kreuzungsbereich wandert mehr oder weniger direkt zum Strand und ist in jedem Fall zu umfahren. Notfalls muss man anhalten und den Krezuwellenbereich passieren lassen.
  6. Vorsicht ist bei allen stehenden Hindernissen geboten - umso mehr, je stärker der Gezeitenstrom zieht: am Unterfeuer (rot/weiß), an Pricken (Reisigbesen), an Tonnen (grün, rot, gelb/schwarz), Fischreusen, vor Anker liegende Sportboote ... Die Mannschaften der langsameren Boote der Rundfahrt werden mit fortschreitender Ebbe erleben, dass die Tonnen ernsthafte Bugwellen entwickeln und ein 50 Meter langes Kielwasser hinter sich her ziehen ... Also bitte viiiel Abstand halten!
  7. Es versteht sich von selbst, dass wir allen Schiffen aus dem Weg gehen. Den Fahrweg von Seeschiffen kreuzen wir nicht mehr, wenn die Schiffe näher sind, als fünf Kilometer. Für die Regatta berühren wir das Fahrwasser nicht, insofern ist dieser Hinweis überflüssig. Bisweilen aber passieren ablegende Binnenschiffe unsere grüne Tonne auf der "falschen" Seite, um sich das Manöverieren zu erleichtern. Auch davon halten wir guten Abstand.

  8. Und wie immer im Leben gilt: Augen auf im Verkehr! Wer ein Boot steuert, lässt sich nicht passiv durch die Landschaft rudern, sondern ist maßgeblicher und aktiver Teil der Mannschaft. Er oder sie sorgt für einen sicheren Fahrtablauf - ggf. bespricht und klärt er/sie auftretende Probleme mit dem Obmann / der Obfrau des Bootes.

1) Einer der ganz wenigen Vereine, die ein ähnlich ungewöhnliches Ruderrevier haben wie wir, ist Der Wikinger in Hamburg: es ist ein riesengroßes Tidengewässer. Aber in Wirklichkeit auch ganz anders: Seeschiffe, Barkassen, Hafenanlagen auf der einen Seite und Binnenschiffe, Sportboote und Landschaft auf der anderen. Und viel zu viel von allem gleichzeitig. Die Wasserbedingungen dürften dagegen von eher untergeordneter Bedeutung sein.

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